Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

in bisher fünf Kanzleiinformationen (s.u.) haben wir über die finanzgerichtliche Entscheidung bzw. den Fortgang der Angelegenheit beim BFH und beim EuGH berichtet. In der Zwischenzeit wurde der Vorlagebeschluss vom 3.8.2017 des BFH an den EuGH in weiteren steuerrechtlichen Fachzeitschriften veröffentlicht.

In der Zeitschrift „Umsatzsteuer-Rundschau“ (UR) wurde zu dieser EuGH-Vorlage eine ausführliche Anmerkung von Dr. Lars Dobratz veröffentlicht, die wir, leicht gekürzt, widergeben wollen:

»Der „Sonderregelung für Reisebüros“ gehen die problematischen Themen nicht aus. Das nun vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des BFH ist bereits das 25. Verfahren, welches den EuGH mit Einzelfragen der Anwendung eines umsatzsteuerrechtlichen Sonderregimes befasst, das der Vereinfachung dienen soll, in erheblichem Umfang aber neue Schwierigkeiten produziert. Der BFH wirft aktuell zwei Fragen auf, deren Vorgeschichte unterschiedlicher kaum sein kann. Bei der ersten Vorlagefrage wähnte sich der Rechtsanwender angesichts zahlreicher einschlägiger EuGH-Entscheidungen bereits auf relativ sicherem Grund, bei der zweiten Vorlagefrage betreten wir unionsrechtliches Neuland.

Mit der ersten Vorlagefrage befasst der BFH den EuGH nun schon zum dritten Mal mit der Frage, was unter „Umsätzen von Reisebüros“ (das europäische Recht spricht von Reisebüros, gemeint sind aber Reiseveranstalter im deutschen Sinne …) zu verstehen ist. Hinzu kommen drei weitere Entscheidungen des EuGH zu dieser Frage aufgrund von Vorabentscheidungsersuchen anderer europäischer Gerichte. Man sollte also glauben, dass die Auslegung dieses Begriffs mittlerweile hinreichend geklärt ist. So sah es bis dato auch der EuGH. Denn seine letzte Entscheidung hierzu erging als Beschluss auf der Grundlage von Bestimmungen der EuGH-Verfahrensordnung, die mittlerweile in Art. 99 geregelt sind. Danach kann der EuGH, in jeder Verfahrensstufe und ohne Anhörung der Verfahrensbeteiligten, ein Vorabentscheidungsersuchen durch Beschluss entscheiden, u.a. wenn – und dies nahm der EuGH in jener jüngsten Entscheidung an – die Antwort auf eine vorgelegte Frage „klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann“. „Klar“ aus damaliger Sicht des EuGH waren dabei zwei Merkmale eines Umsatzes, der unter die Sonderregelung für Reisebüros fällt: Erstens muss er aus mehr als einer einzigen Dienstleistung bestehen, zweitens ist es aber nicht erforderlich, dass der Unternehmer sowohl für die Unterbringung als auch für die Beförderung im Rahmen einer Reise sorgt.

Vor diesem Hintergrund nimmt der BFH im Ausgangsrechtsstreit zutreffend das Vorliegen einer Reiseleistung (im Sinne der Margenbesteuerung) an. Die Klägerin vermietet Häuser zu Urlaubszwecken und sorgt damit für die Unterbringung ihrer Kunden. Die Unterbringungsleistung stand auch nicht für sich allein, sondern wurde von Nebenleistungen begleitet, wie typischerweise zumindest der Reinigung der Unterkunft. Wie der BFH im Beschluss außerdem zu Recht feststellt, bedarf es solcher substantiellen weiteren Leistungen nach der EuGH Rechtsprechung nicht einmal, weil danach eine zusätzliche Leistung des Unternehmers schon in der bloßen Produktberatung zu erkennen ist.

Dem V. Senat des BFH ist der damit geschaffene Anwendungsbereich der Sonderregelung für Reiseleistungen aber offenbar zu weit und deshalb bittet er den EuGH um Überprüfung seiner bereits gefestigten Rechtsprechung. Er beruft sich dabei auf die „neuere“ Rechtsprechung des EuGH zur einheitlichen Leistung. Nach dieser Rechtsprechung teilen Nebenleistungen das steuerliche Schicksal der Hauptleistung. Relevant wurde dies bislang in erster Linie für die Bestimmung der Reichweite einer Steuerbefreiung. Gilt die Steuerbefreiung für die Hauptleistung, so erstreckt sie sich ebenfalls auf die Nebenleistungen zu dieser Hauptleistung, selbst wenn diese den Tatbestand der Steuerbefreiung für sich genommen nicht erfüllen.

Im Vorlagebeschluss scheint der Senat nun implizit die Forderung aufzustellen, dass eine Reiseleistung mindestens aus zwei Hauptleistungen bestehen muss, um unter die Sonderregelung zu fallen. Denn es reicht ihm – entgegen der bisherigen EuGH-Rechtsprechung – für die Annahme von „Umsätzen von Reisebüros“ nicht aus, wenn zur Hauptleistung der Unterbringung lediglich Nebenleistungen treten. Allerdings wird aus der Begründung nicht klar, wie sich dieser neue Sichtweise aus der EuGH-Rechtsprechung zur einheitlichen Leistung, noch dazu aus der „neueren“, ableiten lässt. Diese EuGH-Rechtsprechung geht in ihren Ursprüngen zurück auf das Jahr 1989. Ihre heute noch gültige Formel für die Definition einer Nebenleistung hat Generalanwalt Léger 1998 zwar im Zusammenhang mit der Sonderregelung für Reisebüros geprägt, allerdings weder mit Blick auf die Definition der „Umsätze von Reisebüros“ noch diejenige einer einheitlichen Leistung. Denn die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenleistungen spielt für die Sonderregelung für Reisebüros bislang allein im Hinblick auf die Eingangsleistungen des Unternehmers eine Rolle. Die Sonderregelung (der sog. Margenbesteuerung) ist nämlich nicht anwendbar, soweit die vom Unternehmer erbrachten Reiseleistungen auf Eigenleistungen beruhen. Nur die Bestandteile der Reiseleistung, die der Unternehmer bei Dritten einkauft, unterliegt somit den Sonderbestimmungen des § 25 UStG. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Sonderregelung nun sogar in vollem Umfang ausgeschlossen, wenn die Reisevorleistungen Dritter nur Nebenleistungen zu der vom Unternehmer selbst erbrachten Hauptleistung betreffen. Das ist mit der Rechtsprechung des EuGH zur einheitlichen Leistung durchaus kompatibel, weil in diesem Fall die Hauptleistung, da Eigenleistung, als solche betrachtet die Voraussetzungen der Anwendung der Sonderregelung nicht erfüllt, und die Nebenleistungen eben deren umsatzsteuerrechtliches Schicksal teilen sollen.

Was bedeutet aber all das für den vorliegenden Fall? Da sich der V. Senat im Vorlagebeschluss darauf beschränkt, die bisherige EuGH-Rechtsprechung zum Anwendungsbereich der Sonderregelung (also der Margenbesteuerung) als zu weitgehend zu charakterisieren, darf spekuliert werden: Man könnte vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung zur einheitlichen Leistung argumentieren, dass Nebenleistungen einer einzelnen Unterbringungsleistung deren umsatzsteuerrechtliches Schicksal teilen müssen. Und eine einzelne Unterbringungsleistung eröffnet nach der EuGH-Rechtsprechung eben nicht den Anwendungsbereich der Sonderregelung (Margenbesteuerung).

Auch wenn man sich zur ersten Vorlagefrage eine eingehendere Begründung des Vorlagebeschlusses hätte vorstellen können, ist die Opposition des V. Senats gegen die bisherige EuGHDefinition der „Umsätze von Reisebüros“ doch zu unterstützen. Diese Definition leidet an einem inneren Widerspruch, weil danach einerseits eine einzelne Dienstleistung nicht den Anwendungsbereich der Sonderregelung eröffnet, auf der anderen Seite aber die bloße Produktberatung eine weitere Dienstleistung darstellen soll. Warum danach die Anwendung der Sonderregelung bei einer einzelnen Unterbringungs- oder Beförderungsleistung davon abhängen soll, ob der Unternehmer mit seinem Kunden über den Inhalt der Leistung redet oder nicht, erschließt sich zumindest nicht auf Anhieb und erscheint auch nicht sehr praktikabel.

Allerdings ist zu befürchten, dass der EuGH die erste Vorlagefrage des BFH einfach unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung bescheiden wird, die ja bereits in der letzten einschlägigen Entscheidung als „klar“ bezeichnet wurde. Weniger vorhersehbar dürfte da die Antwort auf die zweite Vorlagefrage des BFH sein. Vor allem dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Reiseleistung i.S. des § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG nur aus einer einzigen Hauptleistung in Form einer Unterbringung besteht, kommt die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für die kurzfristige Unterbringung … in Betracht.

Die Finanzverwaltung lehnt dies … ab. Eine Reiseleistung i.S. des § 25 UStG sei eine sonstige Leistung „eigener Art“. Der V. Senat ist in dieser Frage offen. Für ihn spricht für diese „formelle Betrachtungsweise“ der Finanzverwaltung der Umstand, dass „Umsätze von Reisebüros“ im Anhang III zur Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSysRL) nicht als solche in den möglichen Tatbeständen für ermäßigte Steuersätze zu finden sind. Dieser Sichtweise könnte zum einen entgegen stehen, dass der EuGH in verschiedenen Zusammenhängen eher einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zuneigt, zum anderen, dass die Vorschriften der MwStSysRL gerade zum Steuersatz keine Sonderbestimmung treffen und damit die allgemeinen Regeln in Abhängigkeit vom Leistungsgegenstand gelten müssten. Der Einschätzung des V. Senats ist jedoch beizupflichten, dass die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes die Anwendung der Sonderregelung für Reisebüros noch komplizierter machen würde. Da man hier in Kenntnis der Gesamtheit ihrer Vorschriften sowie der dazugehörigen EuGH-Rechtsprechung ein „als sie es ohnehin schon ist“ hinzuzufügen versucht ist, wäre es daher im Ergebnis zu begrüßen, wenn sich der EuGH im vorliegenden Fall einmal von seiner ganz formellen Seite zeigte.

Soweit, nur ganz leicht gekürzt, aus der „Anmerkung“ von Dr. Lars Dobratz. Dipl.-Kfm. Dr. jur. Lars Dobratz ist Regierungsdirektor im Bundesministerium der Finanzen und war zuvor mehrere Jahre Référendaire am EuGH im Kabinett der Generalanwältin Kokott.

Die „Anmerkung“ von Dobratz wurde in der „Umsatzsteuer-Rundschau 2017“ (UR) auf den Seiten 896 und 897 abgedruckt.

Zur Vorgeschichte s. unsere Kanzleiinformationen USt 2017 Nr. 4, Nr. 6, Nr. 7, Nr. 11 und Nr. 12.

Bonn, den 6. Dezember 2017

verantwortlich für Redaktion und Inhalt: Steuerberater Heribert Kohl, Grootestrasse 97, 53121 Bonn