Umsatzsteuer für Reisevermittler und Reiseveranstalter

– USt 2018 Nr. 8 –

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in weiteren steuerrechtlichen Fachzeitschriften wurde die Entscheidung vom 8.2.2018 des EuGH veröffentlicht, dieser entschied, Sie wissen es:

Die deutsche Margenbesteuerung ist zum Teil rechtswidrig (V)

In Heft 7 der Fachzeitschrift „UmsatzsteuerRundschau“ (UR) wurde in der Ausgabe vom 5.4.2018 von Dr. Lars Dobratz folgende

Anmerkung

abgedruckt, die wir, leicht gekürzt, wiedergeben wollen:

„Die Entscheidung des EuGH ist keine Überraschung und enthält zwei wesentliche Ergebnisse. Erstens hat der deutsche Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 25 UStG auf Reiseleistungen zu erweitern, die für unternehmerische Zwecke verwendet werden. Zweitens muss dem Unternehmer die nach § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG bestehende Möglichkeit entzogen werden, die Bemessungsgrundlage für mehrere Reiseleistungen gemeinsam zu bestimmen. Die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland entsprechend dem Klageantrag der Europäischen Kommission war abzusehen. Der EuGH hatte bereits im Jahr 2013 in der Rechtssache Kommission/Spanien alle hierfür notwendigen Feststellungen getroffen. Deshalb machte der EuGH im vorliegenden Verfahren – trotz einer recht langen Verfahrensdauer von 19 Monaten, die jedoch im Wesentlichen auf die vergebliche Streithilfe des Königreichs der Niederlande zurückzuführen sein dürfte – im Ergebnis kurzen Prozess. Sein Urteil vom 8.2.2018 erging durch eine Kammer mit kleinstmöglicher Besetzung von nur drei Richtern, ohne mündliche Verhandlung sowie nicht nur unter Verzicht auf Schlussanträge des zuständigen dänischen Generalanwalts, sondern auch auf eine Übersetzung des Urteils in die übrigen Amtssprachen der Europäischen Union.

Das Urteil liegt damit nur in der Verfahrenssprache Deutsch sowie zusätzlich auf Französisch vor, da die Entscheidungen des EuGH stets auf Französisch beraten werden. Der Verzicht auf weitere Übersetzungen setzt voraus, dass die erkennende Kammer dem Urteil keine Bedeutung beigemessen hat, die über das Verhältnis der Parteien hinausgeht. Nach Auffassung der Kammer sind also die Rechtsanwender in den anderen Mitgliedstaaten über die Feststellungen der Entscheidung bereits durch die vorangegangene Rechtsprechung hinreichend informiert.
Zu § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG (Anwendungsbereich der Sonderregelung)
Was den Anwendungsbereich der Sonderregelung für Reiseleistungen angeht, wird der deutsche Gesetzgeber Abs. 1 Satz 1 des § 25 UStG ändern müssen. Danach gilt die Sonderregelung für

„Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt“.

Nach dem vorliegenden Urteil verstößt der Satzteil

„die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind“

gegen Art. 306 Abs. 1 Unterabs. 1 Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) und ist zu streichen.

Solange der deutsche Gesetzgeber aber § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG noch nicht entsprechend angepasst hat, besteht bei Reiseleistungen an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ein Wahlrecht: Der Reiseunternehmer, der die Reiseleistungen erbringt, kann hierauf entweder – entsprechend den gegenwärtigen Bestimmungen des § 25 UStG – die allgemeinen Umsatzsteuerregeln anwenden und damit insbesondere seinem Leistungsempfänger den vollen Vorsteuerabzug vermitteln, oder er kann unter Berufung auf die unmittelbare Wirkung von Art. 306 MwStSystRL die Sonderregelung für Reiseleistungen in Anspruch nehmen. Der EuGH hatte bereits 2013 festgestellt, dass die MwStSystRL für die Anwendbarkeit der Sonderregelung für Reiseleistungen keinerlei Anforderungen an die Person des Leistungsempfängers oder die Verwendung der Reiseleistung stellt. Die diesbezügliche Einschränkung in § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG fand noch nicht einmal in der deutschen Sprachfassung des Art. 306 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL eine Stütze. Danach könnte Voraussetzung der Anwendung der Sonderregelung allenfalls die Leistung an einen „Reisenden“ sein. Dies würde aber auch reisende Unternehmer umfassen. Da jedoch andere Sprachfassungen der Richtlinie gar keine Anforderungen an die Person des Leistungsempfängers stellen, sah der EuGH in seiner Entscheidung
von 2013 in teleologischer (d.h.: Auslegung, die sich am Zweck der Norm orientiert) Auslegung der MwStSystRL die Anwendung der Sonderregelung gänzlich unabhängig von der Verwendung der Reiseleistung beim Leistungsempfänger.

Im aktuellen Verfahren hat der EuGH darüber hinaus sämtliche Argumente der Bundesregierungverworfen, die für eine Beschränkung der Sonderregelung auf Reiseleistungen für nichtunternehmerische Zwecke sprechen. Dabei hat er das Ziel der Vereinfachung der mehrwertsteuerrechtlichen Pflichten für die Erbringer von Reiseleistungen besonders betont (…). In der Tat ist es für die Reiseunternehmer einfacher, wenn sie die Anwendung der Sonderregelung nicht von der Art der Verwendung der Reiseleistung beim Leistungsempfänger abhängig machen müssen. Eben dieser Umstand – die grundsätzliche Indifferenz der Besteuerung von der Verwendung der Leistung bei ihrem Empfänger – ist schließlich auch der entscheidende Vorteil des derzeit angewendeten Mehrphasensystems mit Vorsteuerabzug bei der Erhebung der Umsatzsteuer.

Hinter dem Vereinfachungsziel der Sonderreglung musste aus Sicht des EuGH der Grundsatz der Neutralität zurückstehen und zwar sowohl in seiner Ausprägung als Belastungsneutralität als auch in seiner Ausprägung als Wettbewerbsneutralität. Zur Belastungsneutralität führt der EuGH aus, dass die Belastung des unternehmerischen Empfängers einer Reiseleistung mit nicht abziehbarer Vorsteuer, die sich im Rahmen der Sonderregelung aus dem lediglich möglichen Ausweis der Umsatzsteuer auf die Marge des Reiseunternehmers ergibt, die notwendige Konsequenz der Sonderregelung für Reiseleistungen ist (…). Gleiches gilt nach Auffassung des EuGH für die Wettbewerbsneutralität (…). Hier hatte die Bundesregierung vorgetragen, dass die fehlende Abziehbarkeit der gesamten wirtschaftlich auf der Reiseleistung lastenden Vorsteuer die unternehmerischen Leistungsempfänger dazu motiviere, Reiseleistungen nicht über Reisebüros, sondern direkt von denjenigen Unternehmern zu beziehen, die Beförderung oder Unterbringung in Eigenleistung bereitstellen und deshalb gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG und Art. 306 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL nicht der Sonderregelung unterliegen (…).

Der EuGH konterte diese berechtigte Besorgnis jedoch zusätzlich mit der Feststellung, dass die Lösung der Bundesregierung

– nämlich die Sonderregelung nicht auf unternehmerische Leistungsempfänger anzuwenden –

ihrerseits zu Wettbewerbsverzerrungen führe, da sie große Anbieter von Reiseleistungen, denen die Erfüllung der normalen mehrwertsteuerrechtlichen Pflichten leichter falle, gegenüber kleineren Anbietern bevorzugen würde. Es ist der Prozessführung der Bundesregierung zugute zu halten, dass die über die im Wesentlichen bereits aus dem Verfahren von 2013 bekannten Argumente hinaus einen weiteren, interessanten Gesichtspunkt angeführt hat, dessen Zurückweisung dem EuGH einige Schwierigkeiten bereitet hat. Dabei handelt es sich um einen möglichen Verstoß gegen die EUGrundrechtecharta, der mit einer weiten Auslegung des Anwendungsbereichs der Sonderregelung für Reiseleistungen verbunden sein könnte. Denn in der Tat ergibt sich den Reiseunternehmer (…) die Pflicht, gegenüber unternehmerischen Leistungsempfängern seine Marge in der Rechnung offenzulegen. Hierin sah die Bundesregierung einen Verstoß gegen die Grundrechtecharta,
in denen das Recht auf Schutz des Privatlebens, das Recht auf Schutz personenbezogener Daten und die unternehmerische Freiheit gewährt werden.

Nun mag man sicher darüber streiten, ob die Komplexität der Welt derart häufig auf Probleme des Datenschutzes verengt werden sollte und ob der unternehmerischen Freiheit nicht durch Preistransparenz am Ende besser gedient ist. Bei der Prüfung eines Verstoßes gegen die genannten Grundrechte offenbart die Urteilsbegründung jedoch Schwächen. Nicht nur lässt sie es dahinstehen, ob in den Schutzbereich dieser drei Grundrechte überhaupt eingegriffen wird, wodurch die erforderliche weitere Klärung des Inhalts dieser Grundrechte unterbleibt (…). Darüber hinaus entspricht auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung keinem wünschenswerten Standard. Insoweit beschränkt sich der EuGH lediglich auf die Feststellung, dass die Offenlegung der Marge für die größtmögliche Verwirklichung des Vereinfachungsziels der Sonderreglung erforderlich ist (…).

Eine Prüfung der Angemessenheit aber, also der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, sucht man hier vergebens. Im Rahmen der Angemessenheit eines Eingriffs in die Grundrechte des Reiseunternehmers hätten sowohl der von der Bundesregierung zu Recht kritisierten Aufwand für erforderliche Rechnungskorrekturen aufgrund von Veränderungen der Marge nach Leistungserbringung, der dem Vereinfachungsziel deutlich widerspricht, als auch die Nachteile für die Kundenbeziehungen des Reiseunternehmers, die aus der mehrwertsteuerlichen Pflicht zur Offenlegung seiner Gewinnspanne folgen, auf die Waagschale gelegt werden können.

Stattdessen wertete die Kammer den Aufwand bei der Rechnungslegungskorrektur lediglich an anderer Stelle der Urteilsbegründung als eine im Interesse der unionsweit einheitlichen Anwendung der Sonderregelung hinzunehmen praktische Schwierigkeit (…) und bezog die geschäftlichen Nachteile verengt allein auf das Verhältnis zu den Wettbewerbern und nicht auf das zu den Kunden des Reiseunternehmers (…). Diese Begründung überzeugt nicht.

Zu § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG (Bemessungsgrundlage der Reiseleistungen) Die zweite Rüge der Kommission betraf § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG. Nach dieser Vorschrift kann
der Reiseunternehmer die Bemessungsgrundlage aller innerhalb eines Besteuerungszeitraums erbrachten Reiseleistungen zusammengefasst berechnen, wenn gewünscht auch unterteilt nach bestimmten Leistungsgruppen. Der Reiseunternehmer muss also nicht in der Lage sein, die Bemessungsgrundlage für jede einzelne Reise getrennt zu bestimmen. Diese Regelung verstößt nach den Feststellungen des vorliegenden Urteils gegen Art. 73 und 308 MwStSystRL. Der deutsche Gesetzgeber hat daher Absatz 3 Satz 3 des § 25 USt aufzuheben.

Solange dies nicht geschehen ist, können Reiseunternehmer allerdings weiterhin nach dieser Vorschrift verfahren, da sie die entgegenstehenden Bestimmungen der Richtlinie nicht binden. Zu § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG fasst sich die Urteilsbegründung kurz und zwar wiederum unter Hinweis auf die bereits erfolgten gerichtlichen Feststellungen aus dem Jahr 2013 (…). Dem EuGH reicht zur Entkräftung der von der Bundesregierung geschilderten praktischen Schwierigkeiten (…) der Hinweis auf das Gesetz. Anders als die Sonderregelung der MwStSystRL für steuerpflichtige Wiederverkäufer in Art. 318 MwStSystRL enthält die Sonderregelung für Reiseleistungen in Art. 308 MwStSystRL eben keine Regelung, die eine vereinfachte Ermittlung der Bemessungsgrundlage gestattet (…). Diese Argumentation ist zwar insofern angreifbar, als der EuGH eine dem § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG vergleichbare vereinfachte Berechnung der Bemessungsgrundlage bereits für bestimmte Glücksspielumsätze und für eine bestimmte Form des Devisenhandels

– und zwar ohne gesetzliche Grundlage –

zugelassen hat. Doch ändert dies nichts daran, dass sich der EuGH nunmehr auf dem richtigen Weg befindet. Der richtige, nämlich Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung angemessen berücksichtigende Weg besteht darin, zur Beseitigung der offenkundigen Nachteile der bestehenden Sonderregelung für Reiseleistungen eine Änderung der Bestimmungen der MwStSystRL herbeizuführen. Darüber hinaus scheint die Kommission einem Begehren der Bundesregierung offen gegenüber zu stehen, im Hinblick auf die praktischen Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage eine Ermächtigung des Rates zur Einführung abweichender Sondermaßnahmen gem. Art. 395 MwStSystRL zu erwirken.

In jedem Fall ist dem Diktum des EuGH in der vorliegenden Entscheidung uneingeschränkt zuzustimmen, wonach die Mitgliedstaaten die Richtlinie auch dann anwenden müssen, wenn sie verbesserungswürdig ist (…). Gleiches allerdings

– nämlich den Vorrang der Entscheidung des Unionsgesetzgebers, der in erster Linie im Wortlaut der unionsrechtlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommt, gegenüber den Überlegungen des Rechtsanwenders zur sinnvollen Anwendung einer Vorschrift –

möchte man gelegentlich, wie etwa beim Erfordernis einer ordnungsgemäßen Rechnung für den Vorsteuerabzug, auch dem EuGH zurufen.“

Soweit aus der „Anmerkung“ von Dr. Lars Dobratz, veröffentlicht in der Zeitschrift „UmsatzsteuerRundschau“ auf den Seiten 396 bis 398.

Der Autor, Dipl.-Kfm. Dr. jur. Lars Dobratz, ist Regierungsdirektor im Bundesministerium der Finanzen und war zuvor Referent am EuGH im Kabinett der Generalanwältin Kokott.

Wir werden weiter berichten!

Bonn, den 14. April 2018