Reiserecht

– RR 2017 Nr. 19 –

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in unseren Kanzleiinformationen RR Nr. 9 und Nr. 17 vom 27.5. bzw. 2.9.2017 berichteten wir über eine Entscheidung des BGH vom 16.5.2017 („Am Abflug gehindert!“), den Schreibfehler in unserer Kanzleiinformation vom 27.5.2017 bitten wir zu entschuldigen.

In der Zwischenzeit wurde die Entscheidung vom 16.5.2017 des BGH veröffentlicht, dieser entschied:

Keine „höhere Gewalt“ bei behördlichem Fehlverhalten

(1) Höhere Gewalt im Sinne des § 651 j BGB ist ein von außen kommendes, auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis, das weder der betrieblichen Sphäre des Reiseveranstalters noch der persönlichen Sphäre des Reisenden zuzuordnen ist.

(2) Der Umstand, dass der Reisende gehindert ist, an der Reise teilzunehmen, weil sein Reisepass ungültig ist oder nicht als für den Reiseantritt hinreichend anerkannt wird, fällt im Verhältnis zum Reiseveranstalter in die Risikosphäre des Reisenden und stellt auch dann keine höhere Gewalt im Sinne des § 651 j BGB dar, wenn dieses Reisehindernis durch fehlerhaftes behördliches Handeln verursacht wurde.

Was war geschehen?

Die Kundin buchte beim beklagten Reiseveranstalter für ihren Ehemann, ihre Tochter und sich selbst eine Pauschalreise vom 19.5. bis 1.6.2013 in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Im Januar 2013 beantragte sie für sich und für ihre Tochter bei der Gemeinde ihres Wohnsitzes (diese ist Streithelferin der Kundin) neue Reisepässe, die ausgestellt und übergeben wurden. Die Gemeinde hatte der Bundesdruckerei den Eingang der Pässe jedoch nicht bestätigt, was zur Folge hatte, dass die Bundesdruckerei die insgesamt 13 an die Gemeinde versandten Ausweisdokumente als abhanden gekommen meldete. Dies führte wiederum dazu, dass die Kundin und ihrer Tochter am Abreisetag der Abflug in die Vereinigten Staaten verwehrt wurde.

Der Reiseveranstalter zahlte einen Teil des Reisepreises zurück. Die Kundin beanspruchte vor Gericht auch die Rückzahlung des restlichen Reisepreises.
Es ging durch die Instanzen:

– Das AG Nürnberg hat die Klage der Kundin gegen den Reiseveranstalter abgewiesen,

– das LG Nürnberg hat auch die Berufung der Kundin hiergegen zurückgewiesen, aber dieRevision zugelassen.

– Die vom LG Nürnberg zugelassene Revision der Kundin hatte vor dem BGH keinen
Erfolg (BGH, Urt. v 16.5.2017).

Die Entscheidung wurde in der renommierten Fachzeitschrift „Neue Juristische Wochenschrift“ (NJW) veröffentlicht. Dort wurde dann auch eine

Anmerkung

von Jan Singbartl, München, und Dr. Josef Zintl, Neuburg a.d. Donau, auf S. 2679 veröffentlicht, diese wollen wir, leicht gekürzt, widergeben:
Der Entscheidung des BGH ist voll umfänglich zuzustimmen. Probleme mit den Ausweisdokumenten, welche die gebuchte Reise vereiteln, fallen ausschließlich in die persönliche Sphäre des Reisenden und stellen damit keine höhere Gewalt im Sinne von § 651 j BGB dar. Der BGH legt in seiner Begründung der Entscheidung den Begriff der höheren Gewalt umfassend und präzise aus. Dabei setzt sich das Gericht berechtigterweise auch mit dem europarechtlichem Hintergrund dieser Vorschrift auseinander, wenn es explizit auf die Pauschalreiserichtlinie aus dem Jahr 1990 und die Richtlinie über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen aus dem Jahr 2015 eingeht. Auch wenn in letztgenannter Richtlinie der Begriff „höhere Gewalt“ nicht vorkommt, sondern von „unvermeidbaren außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen wird, ist mit Blick auf die Erwägungsgründe mit dem BGH zu Recht davon auszugehen, dass ein Ereignis, welches höhere Gewalt verkörpert, nicht in die Risikosphäre einer Partei fallen darf.

Interessant wäre auch ein Blick in die europäische Fluggastrechte-VO gewesen. Danach ist nämlich ein Luftfahrtunternehmen bei annullierten Flügen nicht zu Ausgleichszahlungen verpflichtet, wenn die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Zwar ist die Fluggastrechte-VO auf den vom BGH entschiedenen Fall nicht anwendbar, da es hier nicht um Entschädigungszahlungen durch die Fluggesellschaft, sondern um die Kündigung eines Reisevertrags ging, doch lässt sich der in der Fluggastrechte-VO enthaltene
Rechtsgedanke durchaus auch für diesen Fall fruchtbar machen.

Die Fluggastrechte-VO definiert den Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ zugegebenermaßen auch nicht. Allerdings hat der EuGH in einem Urteil aus dem Jahr 2008 klargestellt, dass nur solche Vorkommnisse als außergewöhnliche Umstände anzusehen sind, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und aufgrund ihrer Natur oder Ursache von ihm nicht zu beherrschen sind. Ergo: Auch die Fluggesellschaft muss dem Reisenden gegenüber nicht für fehlerhafte oder fehlende Ausweisdokumente einstehen, da das Vorhalten eines gültigen Reisepasses, d.h. eines höchstpersönlichen Dokuments, seiner Natur nach in die Sphäre des Reisenden fällt. Dann aber ist es nur konsequent, dass auch der Reiseveranstalter beim Reisevertrag nicht wegen fehlerhafter oder fehlender Dokumente des
Reisenden irgendwelchen Nachteilen ausgesetzt ist.

Anzumerken bleibt noch, dass der Reisende trotz des Urteils des BGH keinefalls rechtlos gestellt ist. Trifft die Behörde Verschulden an den fehlerhaften oder fehlenden Dokumenten, kann sich der Reisende durchaus schadlos halten. Im konkreten Fall ist an einen Amtshaftungsanspruch gegen die Gemeinde zu denken, da diese der Bundesdruckerei pflichtwidrig nicht den Eingang der Pässe bestätigt hatte.
Soweit, leicht gekürzt, die „Anmerkung“ von Singbartl und Zintl. Jan Singbartl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in München und Dr. Josef Zintl ist Notar in Neuburg a.d. Donau. Die „Anmerkung“ wurde abgedruckt in NJW 2017, S. 2679.

Abschließend:

Wenn Sie den vollständigen Wortlaut des Urteils lesen wollen, wenn Sie den vollständigen Wortlaut der „Anmerkung“ lesen wollen, so können Sie in unserer Kanzlei gerne Fotokopien anfordern.

Bonn, den 16. September 2017